5 Komponenten eines effektiven Leseunterrichts

Schlüsselkonzepte

  • Die Wissenschaft des Lesens ist ein umfassender Forschungsbereich, der die Grundlage für einen effektiven Lese- und Schreibunterricht bildet.
  • Zu verstehen, wie das Gehirn das Lesen verarbeitet und lernt, ist entscheidend, um gezielte und erfolgreiche Maßnahmen zu ergreifen.
  • Die Wissenschaft des Lesens schlägt vor, das phonemische Bewusstsein, die Phonetik, den Lesefluss, den Wortschatz und das Leseverständnis zu schulen.

Hast du schon einmal den Begriff "Wissenschaft des Lesens" gehört?

Wahrscheinlich schon, wenn du ein Elternteil oder ein/e Lehrer/in der Vor- oder Grundschulklasse bist. Aber was bedeutet er wirklich? Ist es ein Lehrplan für das Lesen? Ein Studiengang für zukünftige Pädagogen? Eine neue Modeerscheinung im Bildungswesen, die bald wieder vorbei sein wird?

Eltern und Lehrkräfte wissen, dass ein guter Leser Welten von Möglichkeiten eröffnet. Es gibt Kindern eine persönliche Kraft, auf die sie ein Leben lang zurückgreifen können.

Laut einer Studie zur Kinderentwicklung haben Menschen mit besseren Lese- und Mathematikkenntnissen als Kinder bessere Karrierechancen, bessere Wohnverhältnisse und ein höheres Einkommen im Erwachsenenalter.

Andere Studien haben außerdem ergeben, dass eine geringe Lesekompetenz zu einer schlechteren Gesundheit und anderen Lebensumständen führen kann.

Weil Lese- und Schreibfähigkeiten so viele Aspekte des Lebens beeinflussen, wollen die meisten Eltern besser verstehen, wie sie ihren Kindern helfen können, effektiv lesen zu lernen. Auch die Schulen wollen ihren Schülern helfen, gute Leser zu werden.

In den letzten 40 Jahren gab es eine explosionsartige Entwicklung der Forschung. Tatsächlich wurde mehr über das Lesen und die Lesekompetenz geforscht als über jeden anderen Aspekt des menschlichen Lernens.

Vor einigen Jahrzehnten haben Kognitionswissenschaftler die Forschungsergebnisse zusammengetragen und fünf Komponenten für einen effektiven Lese- und Schreibunterricht identifiziert. Diese Forschung fasst für dich zusammen, was man die Wissenschaft des Lesens nennt.

Family reading
Photo credit: Cottonbro studio

Was genau ist die "Wissenschaft des Lesens"?

Es gibt seit langem eine Debatte darüber, wie man am besten lesen lernt.

Während der 1800er-1900er Jahre schwankte der bevorzugte Ansatz zwischen Phonetik und Ganzsprache hin und her.

In den 1600er Jahren kam das Konzept der Phonetik (das Lehren von Buchstabenlauten und -mustern vor ganzen Wörtern) auf. Diese Art des Leseunterrichts war in den meisten Ländern bis um 1800 vorherrschend.

In den 1800er Jahren erlangte der Ansatz der "ganzen Sprache" an Bedeutung. Bei diesem Ansatz werden zuerst Buchstaben und Wörter unterrichtet, wobei die Bedeutung vor dem Klang im Vordergrund steht.

In den 1960er Jahren lösten bedeutende Fortschritte in der Erforschung der Gehirnentwicklung weitere Forschungen über wie Kinder lesen lernen.

Ende der 1990er Jahre begannen Wissenschaftler, die Forschung zur Gehirnentwicklung und zur Lesekompetenz zusammenzuführen. Daraus entwickelte das US National Reading Panel fünf wesentliche Unterrichtsbereiche für Kinder, die lesen lernen: phonemisches Bewusstsein, Phonetik, Lesefluss, Wortschatz und Verständnis.

Dr. Louisa Moats, EdD, eine weithin anerkannte Autorität, erforscht seit den 1970er Jahren die Lesekompetenz. In einem Interview mit Collaborative Classroom definierte sie die Wissenschaft des Lesens als einen Konsens unter Experten über die besten Wege, Kindern das Lesen beizubringen. Sie betont, dass es sich dabei nicht um eine formale Philosophie, eine politische Agenda, ein spezielles Unterrichtsprogramm oder gar einen "Einheitsansatz" handelt. Stattdessen unterstreicht die Forschung, dass Lehrer/innen (und Eltern!) flexibel auf jedes Kind eingehen müssen, je nachdem, welche Stärken oder Schwierigkeiten es hat.

Brain

Das Gehirn und das Lesenlernen - Was wir wissen

Um die Wissenschaft des Lesens besser zu verstehen, ist es hilfreich, den Zusammenhang zwischen der Gehirnentwicklung und dem Lesenlernen zu kennen. Drei Bereiche des Gehirns sind daran beteiligt: der Schläfenlappen, der Stirnlappen und der Gyrus angularis und supramarginalis. Diese Bereiche müssen "lernen", zusammenzuarbeiten, damit ein Kind ein erfolgreicher Leser wird.

Bevor wir lesen lernen, ist der Teil des Gehirns, der für das phonologische Bewusstsein und die Dekodierung von Lauten zuständig ist (der Schläfenlappen), nicht mit dem Teil verbunden, der Sprache verarbeitet und uns beim Verstehen hilft (der Frontallappen). Beim Lesenlernen bilden der Gyrus angularis und der Gyrus supramarginalis Bahnen, die den Temporal- und den Frontallappen miteinander verbinden. Einen einfachen Überblick über den Prozess findest du auf hier.

Die Hauptsache ist, dass das menschliche Gehirn nicht zum Lesen "verdrahtet" ist - man muss es ihm beibringen.

Um diese "Verdrahtung" voranzutreiben, müssen Kinder lernen...

  • Phonemisches Bewusstsein (Laute von Wörtern).
  • Phonetik (Laute mit Symbolen verbinden).
  • fließendes Sprechen (an dem gearbeitet werden kann, sobald die Verbindungen zwischen den visuellen und auditiven Teilen des Gehirns fest etabliert sind).
  • Wortschatz (was indirekt während des gesamten Lebens und direkt in der Schule geschieht).
  • Leseverständnis(das Endziel des Lesenlernens).

Fünf Komponenten eines effektiven Leseunterrichts

Phonemisches Bewusstsein

Phonemisches Bewusstsein ist ein wichtiger Teil der "Verbindung" zwischen den visuellen und auditiven Teilen des kindlichen Gehirns. Gesprochene Wörter haben einzelne Laute (Phoneme genannt). Phonemisches Bewusstsein zu entwickeln bedeutet, Kindern dabei zu helfen, die kleinsten Lauteinheiten zu identifizieren, die sie in einem Wort hören können. Tägliches Vorlesen hilft deinem Kind, dieses Bewusstsein zu entwickeln, vor allem, wenn du Bücher mit Wiederholungen, Rhythmus und Reimen liest.

Als Nächstes geht es darum zu verstehen, wie diese Lauteinheiten zusammenwirken, um Wörter zu bilden.

Und von dort kommt das formalere Lernen von "Lautkategorien", wie Silben, Reimen, Anfängen und Wörtern.

Der Aufbau dieses Bewusstseins ist nicht nur ein "einmaliger" Teil des Lernens, sondern sollte durch die Vorschule hindurch gelehrt werden. Selbst dann hat die Forschung herausgefunden, dass der weitere Aufbau dieser Fähigkeit Teil eines komplexeren Leseunterrichts während der gesamten Grundschulzeit sein sollte.

Phonetik

Phonetik lehrt Buchstaben und Buchstabenkombinationen zusammen mit den Lauten, die sie erzeugen. Es geht darum, die Laute, die die Lernenden hören, mit den Buchstaben zu verbinden, die sie auf der Seite sehen. Mit einem effektiven Phonetikunterricht können Kinder lernen, Wörter zu "entschlüsseln", was ihnen hilft, flüssiger und sicherer zu lesen.

Phonetik wird normalerweise in der Vorschule und in den Klassen 1 bis 3 unterrichtet. Aber genau wie die phonemische Bewusstheit sollte auch diese Fähigkeit im Rahmen eines komplexeren Leseunterrichts weiter ausgebaut werden. In den Klassen 3 bis 5 sollten die Schülerinnen und Schüler die Buchstaben-Laut-Beziehungen und die Dekodierfähigkeiten weiter ausbauen, während sich der Schwerpunkt auf ein tieferes Leseverständnis verlagert.

Kinder mit Legasthenie oder anderen Leseschwierigkeiten brauchen oft zusätzlichen Unterricht in Phonembewusstheit und Phonetik. Eine frühzeitige und kontinuierliche Förderung, die diesen Schülern hilft, Phoneme und Phonetik zu beherrschen, kann ihren Leseerfolg erheblich beeinflussen.

Wortschatz

Wenn Kinder besser darin werden, Wörter zu entschlüsseln, müssen sie auch an der Bedeutung der Wörter arbeiten. Je mehr Wörter ein Leser oder eine Leserin kennt, desto einfacher wird es, das Gelesene zu verstehen. Wenn du dich mit einer Vielzahl von Texten beschäftigst und Kinder mit reichhaltiger Sprache umgibst, kannst du ihren Wortschatz verbessern.

Die Forschung unterstützt den Wortschatzunterricht auf drei Arten:

  • Wörter aus der Alltagssprache - den meisten Schülern vertraut 
  • Häufig vorkommende Wörter (die in verschiedenen Fächern häufig vorkommen)
  • Fachspezifische Vokabeln

Auch hier kann das Vorlesen den Wortschatz deines Kindes erheblich erweitern. Vokabeln kann man auch indirekt durch alltägliche Erfahrungen lernen. Wenn ein Teil dieser Erfahrung darin besteht, dass du mit deinem Kind liest, wird es informell mehr Wörter aufnehmen. Vor allem, wenn du mit ihnen über die Bedeutung der neuen Wörter sprichst, die du liest.

Der Wortschatzunterricht sollte während der gesamten Schulzeit eines Kindes stattfinden, nicht nur in den ersten Klassen. Und Kinder sollten mit neuen Vokabeln in verschiedenen Zusammenhängen konfrontiert werden.

Leseflüssigkeit

Flüssiges Lesen bedeutet, einen Text genau, schnell und mit Ausdruck zu lesen. Dazu gehört das laute Lesen mit angemessener Geschwindigkeit, Intonation und Pausen, damit die Kinder den Sinn des Textes erfassen können. 

Ein flüssiges Lesen hilft Kindern, sich auf das zu konzentrieren, was sie lesen, anstatt nur die Wörter zu entschlüsseln. Strategien wie wiederholtes Lesen, angeleitetes mündliches Lesen und das Zeigen von guten Beispielen für flüssiges Lesen können helfen, die Leseflüssigkeit zu verbessern.

Leseverständnis

Das ultimative Ziel des Lesenlernens ist das Verstehen. Das bedeutet, dass ein Kind die in einem Text enthaltenen Informationen und Ideen versteht, interpretiert und sich mit ihnen auseinandersetzt. Wenn Eltern und Lehrkräfte den Kindern helfen, ein phonemisches Bewusstsein, phonetische Fähigkeiten, einen Wortschatz und einen flüssigen Lesefluss aufzubauen, wird sich ihr Leseverständnis verbessern.

Die Forschung zeigt auch, dass der formale Leseverstehensunterricht früh beginnen sollte. Dazu gehören Strategien wie Vorhersagen machen, Fragen stellen und Zusammenfassungen.

Schlussfolgerung

Die Wissenschaft des Lesens vermittelt ein klareres Bild als bisher, wie man Kindern am besten helfen kann, gute Leser zu werden.

Die fünf Komponenten, die für den Leseunterricht empfohlen werden, sind nicht auf ein bestimmtes Programm, eine Maßnahme oder ein Produkt beschränkt. Vielmehr handelt es sich um einen umfassenden Ansatz, der sich darauf konzentriert, zu verstehen, wie Kinder lesen lernen, und evidenzbasierte Strategien einzusetzen, um ihre Bedürfnisse bestmöglich zu erfüllen.

Dieses Wissen kann Lehrkräften und Eltern helfen, fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie die Leseentwicklung ihres Kindes am besten unterstützen können. Das ist ein großartiger Ausgangspunkt für Elternhäuser und Klassenzimmer, die starke, engagierte Leserinnen und Leser hervorbringen, die ihr ganzes Leben lang von dieser Fähigkeit profitieren!

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